Ansprache
von Bürgermeister Patrick Ott bei
der Gedenkfeier der
Gemeinde Baierbrunn zum
Volkstrauertag 2022
13. November 2022
Meine Damen und Herren,
liebe Fahnenabordnungen der
Vereine!
Wer von Ihnen
im vergangenen Jahr hier auch zum
Volkstrauertag am Kriegerdenkmal
stand, wird sich vielleicht
erinnern, dass ich damals daran
erinnerte dass wir hier und heute
in der längsten Friedensperiode
leben, die Deutschland als Nation
bisher erlebt hat, die unsere
Region in den letzten 500 Jahren
je erlebt hat. Die letzte wirklich
lange Friedensperiode in
Deutschland begann mit dem Ende
des Deutsch-Französischen Krieges
und der Reichsgründung und währte
bis zum Beginn des 1. Weltkriegs,
das waren 44 Jahre. Unsere
Friedensperiode dauert nun schon
77 Jahre an, erstmals leben
Generationen in Deutschland – und
ich gehöre dazu – die niemals
selber die Not und das Elend
erleben mussten, welche Krieg und
Vertreibung mit sich
bringen.
Mir war und ist es aus der
Geschichte meiner eigenen Familie
heraus immer wichtig, genau daran
zu erinnern, dass nicht der Friede
der Normalfall in der Geschichte
der Menschheit war, sondern leider
der Krieg.
Kaum drei Monate nach meiner
Ansprache hier an diesem
besonderen Ort des Gedenkens im
letzten Jahr begann vor unserer
Haustüre vollkommen unerwartet
wieder ein Aggressionskrieg, ein
Krieg der über Menschen, die bis
dahin friedlich und in Sicherheit
und Wohlstand lebten auf einmal
Tod, Zerstörung und Elend brachte.
Unsere westeuropäische Illusion
von einem ewigen Frieden endete
ganz dramatisch am 24. Februar
dieses Jahrs.
Ich sage: vor unserer Haustür,
dabei klingt „Die Ukraine“ für die
meisten von uns, glaube ich, immer
noch wie ein eher fernes Land.
Aber Kiew ist in etwa soweit von
uns hier in Baierbrunn entfernt
wie Stockholm oder Madrid, Städte
in die wir gerne reisen, die wir
kennen. Daher berührt uns all das,
was wir über diesen schrecklichen
Krieg erfahren auch so direkt und
unmittelbar. Und die Flüchtlinge,
die zu uns gekommen sind seitdem
und unter uns und mit uns leben,
bringt uns die Erfahrung
persönlich nahe.
Und wenn ich die Fotos und Videos
gesehen habe, wie Soldaten
unschuldige und unbewaffnete
Zivilisten auf der Straße einfach
umschießen und am Straßenland
liegen lassen, wie in Butscha zu
sehen war, dann erinnert mich das
ganz fatal an die Geschichten, die
mir meine beiden Großmütter aus
ihren persönlichen Erlebnissen von
Krieg und Vertreibung als Kind
erzählten.
Sowie die Erzählung, wie mein
Urgroßvater, Jakob
Scheuermann, am 2. September
1944 von einmarschierenden
russischen Truppen in Lazarfeld
auf der Dorf-Straße einfach
deswegen erschossen wurde, weil er
sich nicht schnell genug von
Portemonnaies und Taschenuhr
trennen wollte--- mein
damals vier-jähriger Vater musste
das als Kind mitansehen.
Es ist schwierig zu erfassen,
schwierig zu akzeptieren, dass
knapp 80 Jahre später so etwas
wieder in Europa passiert. Ich
selber habe gehofft, so wie Sie
sicher auch, dass wir inzwischen
weiter sind, dass wir uns seit dem
Ende des schrecklichen 2.
Weltkrieges fortentwickelt haben
und dass heute niemand mehr bei
uns noch dem Clausewitzschen Satz
Glauben schenken würde, dass Krieg
einfach die Fortführung der
Politik ist, nur mit anderen
Mitteln.
Frieden schaffen ohne Waffen, dass
war ein Sponti-Slogan der
Friedensbewegung in meiner Jugend.
Ein schöner Gedanke, eigentlich.
Aber wir erleben gerade wieder,
dass das gegenüber einem
Aggressor, dem unsere
demokratischen Werte, dem unser
Frieden und unsere Sicherheit
nichts gelten, nicht möglich ist.
Demokratie muss daher auch
wehrhaft sein und bleiben. Das
haben wir vielleicht zulange
vergessen und verdrängt.
Und wo wir nicht selber aktiv
verteidigen, müssen wir zumindest
diejenigen, die Land, Leben und
westliche Werte verteidigen,
unterstützen.
In diesem Jahr feiern wir zum 100.
Mal in Deutschland den
Volkstrauertag. Die gefallenen
Soldaten und all die anderen Opfer
aus unserem Ort, sind heute
Geschichte. Es gut und richtig,
dass wir ihrer gedenken, denn sie
mahnen uns darauf zu achten, dass
sich das nie wiederholt.
Ich wünsche mir nur sehr, dass in
nochmal 100 Jahren nicht weitere
Namen aus Baierbrunn zu diesem
Denkmal hinzugekommen sind, ich
wünsche meinen Kindern so sehr,
dass sie ein Leben in Frieden und
Sicherheit führen dürfen, wie es
mir bisher über 55 Jahre vergönnt
war. Damit das so ist und bleibt,
müssen wir weiter wachsam sein,
weiter mahnen und uns der Gefahren
bewusst sein.
Und genau deshalb verneigen wir
uns heute wieder hier in Trauer
und mit großem Mitgefühl vor allen
im Krieg zu Tode gekommenen
Opfern.
Wir denken heute:
an die Opfer von Gewalt und Krieg,
an Kinder, Frauen und Männer aller
Völker
Wir gedenken
der Soldaten, die in den
Weltkriegen starben,
der Menschen, die durch
Kriegshandlungen oder danach in
Gefangenschaft, als Vertriebene
und Flüchtlinge ihr Leben
verloren.
Wir gedenken derer,
die verfolgt und getötet wurden,
weil sie einem anderen Volk
angehörten,
einer anderen Rasse zugerechnet
wurden,
Teil einer Minderheit waren oder
deren Leben wegen einer Krankheit
oder Behinderung als lebensunwert
bezeichnet wurde.
Wir gedenken derer,
die ums Leben kamen, weil sie
Widerstand gegen Gewaltherrschaft
geleistet haben,
und derer, die den Tod fanden,
weil sie an ihrer Überzeugung oder
an ihrem Glauben oder Ihrer Liebe
festhielten
Wir trauern
Um die Opfer der Kriege und
Bürgerkriege unserer Tage,
um die Opfer von Terrorismus und
politischer Verfolgung,
um die Bundeswehrsoldaten und
anderen Einsatzkräfte,
die im Auslandseinsatz ihr Leben
verloren.
Wir gedenken heute auch derer,
die bei uns durch Hass und Gewalt
gegen Fremde und Schwache Opfer
geworden sind.
Wir trauern mit allen,
die Leid tragen um die Toten, und
teilen ihren Schmerz.
Aber unser Leben steht im Zeichen
der Hoffnung auf Versöhnung unter
den Menschen und Völkern,
und unsere Verantwortung gilt den
Frieden zu wahren unter den
Menschen zu Hause und in der
ganzen Welt.
- Schweigeminute
–
Ich danke Ihnen, dass Sie sich
heute die Zeit genommen haben, der
Toten mit mir zu gedenken und sie
zu ehren.
Ich wünsche Ihnen jetzt noch einen
schönen Sonntag im Kreise Ihrer
Lieben…. Und erinnern wir uns auch
heute wieder dabei daran, wie
viele Menschen auf der Welt gerade
heute eben nicht das Glück und
Privileg haben, das Zusammensein
mit Familie und Freunden in
Frieden genießen zu können.
Kommen Sie gut nach Hause und
bleiben Sie gesund!